Samstag, 13. Oktober 2012

Kuss der Muse: Flaschenpost [Kurzgeschichte]


Ich hatte mir nichts dabei gedacht, als ich die Post aus dem Briefkasten zog. Es war ein Ritual wie jeden Abend nach der Arbeit. Und es brachte in der Regel nichts weiter als Rechnungen, ab und an auch eine Mahnung und vor allem Reklame. Meine beste Freundin Anne lachte jedes Mal über das Wort. Wo sie zum Wort Werbung greift war es bei mir immer nur Reklame. Das lag wohl einfach daran das, als ich noch jünger ich war meine kompletten Sommerferien bei meinen Großeltern verbracht habe. Die gebrauchten das Wort Reklame zwar auch nicht, aber bei ihnen lief Tag ein, Tag aus das Radio und immer wenn zwischen uralten Klassikern wie Baby Blues und Love me Tender, die Moderatoren Luft holten schalteten sie die Reklame ein, mit vollmundiger Ankündigung. Also war das allabendliche Ritual Post aus dem Briefkasten zu ziehen eine kleine Erinnerung an viele unbeschwerte Tage meiner Kindheit. Mittlerweile verbrachte ich meine Sommer nicht mehr bei meinen Großeltern, aber ich sollte an diesem Abend eine ganz spezielle Erinnerung an sie wieder wachrufen, als ich neben zwei Briefen auch eine Postkarte hervorzog. Darauf abgebildet, eine Flaschenpost in weißem Sand, dekorativ einige Muscheln Drumherum drapiert. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann ich zum letzten Mal eine Postkarte bekommen hatte, es musste Jahre her sein. Wenn nicht sogar ein Jahrzehnt. Postkarten kamen irgendwie aus der Mode, wenn man nicht gerade Freunde hatte die welche aus ihrem Urlaub sendeten um einen der Daheimgebliebenen so richtig neidisch und verbittert zu wünschen. Die Handschrift war fein, fast schon zu schön um tatsächlich von einem Mann zu stammen, aber unter den wenigen Zeilen stand tatsächlich der Name Peter. Ich hatte keine Freunde die so hießen und selbst in der Familie gab es niemanden. Auf der Arbeit gab es einen, aber es müsste schon einiges kommen, bevor der eine Postkarte verschicken würde. Zumal ich wusste das er eine Sauklaue besaß die man nur unter schwersten Anstrengungen entziffern konnte. Besagter Peter war nämlich mein Chef und ich seine Sekretärin. Ich überflog die Zeilen. Die Zeile wohl eher, denn es gab nur eine. „Sommer 1995 – Peter.“ Vor siebzehn Jahren, als ich zehn Jahre alt gewesen war. Ich stieg in den Aufzug der mich in den achten Stock befördern würde und sah mir die Karte genauer an. Sommer 1995. Der letzte Sommer den ich bei meinen Großeltern verbracht hatte. Wo meine Oma mir eines Abends UNO beigebracht hatte und ich ganz wild drauf wurde, das ich Oma und Opa jeden Abend gebeten hatte die Karten auszupacken. Der Sommer wo mein Opa mir beigebracht hatte, wie man flicht. Und wenn wir nicht UNO gespielt hatten, flocht ich mit Begeisterung alles, was ich in die Finger bekam. Schnüre, Bänder, Omas Wollknäuel und zum Ärgernis der beiden, die flatterhaften Bänder des Türvorhangs. Im Sommer 1995 beschloss ich nicht mehr die Ferien bei ihnen zu verbringen. Dazu kam ein Schulwechsel und ich lernte Anne kennen. Selbstverständlich verbrachten wir die Schulferien immer zusammen. Anne und ich, es gab uns immer nur im Doppelpack, meine erste Freundin. Auch wenn man den Sommer bis dahin in einer Enkelfreudlichen Siedlung verbrachte, habe ich kaum bis gar keinen Kontakt zu anderen Kindern gehabt. Immer nur meine Großeltern und dessen Freunde. Das bescherte mir ungeteilte Aufmerksamkeit und einen Haufen Süßigkeiten, dem ich ein bisschen meine jetzige Figur zu verdanken hatte. Doch warum sollte irgendein Peter mich genau an diesen Sommer erinnern?
Ich stieg aus dem Fahrstuhl, lief zu meiner Tür und schloss auf. Hatte es unter all den Nachbarn einen Peter gegeben? Selbst wenn, erinnern würde ich mich doch nicht. Das alles wurde immer merkwürdiger.
Ich pinnte die Postkarte an die Wand und beschäftigte mich mit den Briefen. Ein Lohnbescheid der mich nur frustieren würde, weshalb ich ihn ungeöffnet ließ und einen Gutschein für zwei Wochen Türkei. Reklame. Eine Weile machte ich mir noch meine Gedanken zu der Postkarte, aber mit dem schnellen Abendessen und dem Anruf vom Chef, der alles andere als erfreulich war, vergaß ich das grübeln und auch den Grund für die Postkarte. Zumindest bis zu dem Tag, eine ganze Woche später, als ich erneut eine aus dem Briefkasten zog.

„Merkwürdig“, kommentierte Anne über ihren Karamell Macchiato hinweg und legte beide Postkarten zurück auf den Tisch.
„Ist das alles?“, wollte ich wissen.
„Was willst du hören? Du hast mir zwar davon erzählt das du im Sommer bei deinen Großeltern aufgewachsen bist, aber Einzelheiten kenne ich auch nicht um dir das irgendwie zu erklären Susi.“
Ich seufzte und nahm die Karten wieder an mich. Auch die zweite zeigte eine Flaschenpost, nur die Worte hatten sich geändert, wenn auch nicht alle. Als Absender galt immer noch Peter. Peter den ich nicht kannte, und wenn doch war er niemand gewesen, die mich in Erinnerung behalten hätte.
„Offensichtlich will dieser Peter auf etwas bestimmtes hinweisen, was damals passiert ist“, riet Anne.
„Glaubst du, ich hätte noch nicht alles abgerufen an was ich mich erinnern kann? Ich weiß nicht worauf ich hinweisen will.“
Anderes mir die Karten auf der Hand und las sie laut für sich vor. Oder für mich?
„Sommer 1995“, und „Nachbarsgarten.“ Sie gluckste.
„Eine flotte Nummer in Nachbars Garten mit dem Jungen von gegenüber?“
Ich schnaubte entsetzt auf: „Hallo? Ich war da erst zehn Jahre und selbst wenn ich über früh reif gewesen wären, würde ich mich doch wohl an so etwas erinnern!“
Es gab Momente, da fand ich sie wirklich unmöglich, andererseits hielt ich inne. Der Grund warum ich ab 95 meine Großeltern nicht mehr besucht hatte. Mein Gesicht musste viel an Farbe verloren haben, so dass Anne besorgt ihre Hand auf meine gelegt hatte. „Alles in Ordnung?“
Ich sammelte mich, so schnell ich konnte.
„Klar…“ ich sah dass sie mir das nicht so recht abkaufen wollte und setzte ein Lächeln auf, obwohl mir alles andere zumute war.
„Sicher?“ Sie kannte mich doch viel zu gut um ihr glaubhaft Dinge zu verheimlichen, und anlügen wollte ich sie auch nicht, denn wem konnte ich schon davon erzählen, wenn nicht ihr?
„Ich glaube ich weiß jetzt worauf dieser Peter hinaus will“, aber… ich wüsste nicht wieso er davon wissen könnte. Punkt. Wir waren doch alleine…“
vermutlich würde Anne jetzt grinsen und doch wieder auf das Gebüsch und dem Nachbarsjungen zurückkommen, aber ich musste aussehen als ob ich dem leibhaftigen begegnet war, so dass sie sich ihre eigentliche unbekümmerte Art verkniff.
„Susi, das ist denn da bloß passiert?“

Die Straße in der meine Großeltern wohnten war bevölkert von älteren Leuten, die entweder keine Kinder hatten oder dessen Nachwuchs schon längst außer Haus war. Erst wenn man die Straße viel weit herunter lief stieß man auf jüngere Familien. Meine Sommerferienwelt drehte sich aber nicht viel weiter als in einem Radius von sechs Häusern. Das schuf eine familiäre Atmosphäre und alle Nachbarn waren für mich automatisch Onkel und Tanten, denn es hieß oft nur: „Susi bringst du der Tante Angelika ihren Korb zurück?“ „Fragst du Onkel Hubert mal ob er eine Tasse Mehl für uns hat?“.
Es gab Tage da spielte ich oft den mobilen Fernsprecher, aber es machte bisweilen sogar Spaß. Wenn ich zu Tante Angelika gehen sollte fielen immer ein paar Bonbons in meine Tasche. Bei Tante Hildegard gab es immer was Süßes aus dem Garten, stets die Früchte der Saison. Von Onkel Michael und Tante Irmgard gab es immer Schokolade in kleinen Täfelchen. Der Tag den ich mir so lange verdrängt wieder ins Gedächtnis rief, war richtig warm. Wie jeden Tag in den Ferien bimmelte punkt drei Uhr der Eiswagen in der Straße. Für eine zweite Kugel im Becher fehlten mir ein paar Münzen aber zum Glück tauchte Michael auf und legte den Fehlbetrag aus. Er streichelte mich jovial über den Kopf und ich genoss meinen ersten Löffel. Er begleitete mich zu meinen Großeltern zurück, weil er ohnehin auf den Weg gewesen war. Während ich auf der Schaukel meinen Eisbecher leer löffelte tranken Michael und mein Opa hier nachmittags Bier zusammen. Kurz darauf rief sie mich dazu und man schlug mir vor Michael beim Unkraut jäten in seinen Garten zu helfen. Ich hatte meiner Oma manchmal dabei geholfen und fand das eher lästig und langweilig, aber ich wurde mit etwas großartigem doch überredet. Ein riesiges Planschbecken. Bei meinen Großeltern gab es keinen Pool und für eines für Kleinkinder war ich schon zu alt, also gab es dort nur ein Schlauch. Also genau das richtige für den heißen Tag und ich stimmte zu. Kaum war mein Eisbecher leer gingen wir gemeinsam in zwei in seinen Garten. Den Pool gab es doch, aus dem Unkraut jeden ist aber nie etwas geworden. Zu aller erst gab es ein Glas Limonade, für ihn noch ein Bier. Wir tranken draußen im Garten. Während ich ausgefragt wurde, wie es mir bei Oma und Opa gefiele und wie es meinen Eltern ging, hatte er seine Hand in den Shorts. Mir fiel der Kronkorken von der Limoflasche runter, ich beugte mich vor um ihn aufzuheben und konnte sehen wie er sich selbst massierte. Auf zweierlei Arten beobachtend tauchte ich wieder auf natürlich wusste ich was er da in der Hand hielt. Mit einem gewissen Maß an Ekel den man an erzogen hatte und verbotener Faszination schlug mir das Herz bis zum Hals. Er grinste. In kindlicher Neugier, schätze ich, bückte ich mich wieder um das zu sehen. Wie ertappt richtete ich mich wieder auf und versuchte das an erzogene Pfui zu vergessen, aber jeder der schon mal versucht hat sich in der Kirche das Lachen zu verkneifen, weiß wovon ich rede, denn das ist kaum bis gar nicht möglich. Ihn schien das zu belustigen, denn im Gegensatz zu mir fühlte er sich nicht ertappt. Ein Ekel stieg in mir auf, ich trank meine Limo schnell leer und entschuldigte mich knapp und lief zurück zu Oma und Opa. Ich erzählte ihnen nichts davon. In diesem Sommer war ich zum letzten Mal in den Ferien da.

Als ich mit meiner Erzählung fertig war, stieß Anne einen rüden Fluch aus. Wie damals schlug mein Herz wie die Flügel eines Kolibris. Mich in der Gegenwart wiederzufinden war beruhigend, aber der üble Nachgeschmack dieser noch so detaillierten Zeitreise lag mir bitter auf den Lippen. 17 Jahre später noch.
„Der Kerl ist doch total krank! Hast du ihn angezeigt?“
„Ich war zehn. Ich wusste so was macht man nicht, aber ich wusste ja nicht das es-“
„Pädophiles Drecksschwein“, fluchte Anne.
„Nicht zu ändern. Es ist 17 Jahre her und da war die Welt, gerade in dieser Siedlung mit der Anzahl alter Generationen so. Sowas gab es nicht und wer hätte einer zehnjährigen schon sowas geglaubt, zumal ich mich schuldig gefühlt hatte, himmel ich tut es heute noch, weil ich tatsächlich hingesehen habe. Zweimal.“
„Man Susi, erzähl doch kein Quatsch! Er ist das Schwein nicht du! Ich will mir gar nicht vorstellen, was passiert wäre wenn du da nicht abgehauen wärst!“
Mir wurde kalt. Nicht auszumalen, was noch hätte passieren können.
„Du solltest ihn anzeigen.“
Ich schnäuzte ein Taschentuch. „Ist doch eh viel zu spät dafür… im Grunde hat er ja auch gar nichts gemacht.“
„Außer sich vor einer minderjährigen einen runtergeholt zu haben“, empörte sich Anne.
„Sowas verjährt doch. Meinst du irgendwie kriegt danach, was vor 17 Jahren passiert ist?“
Ich wunk ab. Ich wusste das Anne sich fürchterlich aufregt hatte, aber ich wollte das alles nicht noch jemandem erzählen, nur wieder vergessen was war.
Ich stecke die Postkarten wieder ein und nahm mir fest vor sie auf dem Weg nachhause in irgendeiner Mülltonne zu entsorgen. Ich wollte sie nicht im Haus haben.

Anni ging nicht darauf ein, wofür ich dankbar war und als wir die Woche drauf vom samstags shoppen ein Abstecher zu mir machten und ich im Briefkasten eine dritte Postkarte fand, war das Thema mit einem Mal wieder so präsent wie zuvor. Ich las die Worte und spürte Saures mein Hals aufsteigen, das sich auf die Zunge brannte. Anne riss sie mir trotz Gegenwehr aus den Händen und gab bald so erschrocken wie ich Laut von sich. Doch im Gegensatz zu mir gewandt wie man Fassung wieder. Sie riss die Karte in zwei Teile.
„Nicht!“
„Was?! Willst Du das etwa irgendwo aufhängen, oder was? Das ist widerlich!“ Sie hielt inne, statt die Karte weiter zu zerreißen: „Hast recht, das ist ein Beweis!“
„Beweis für was denn?“
„Weiß der Geier!“, sie steckte die Karte ein.
„In jedem Fall bewahre ich sie auf. Du siehst schon wieder aus wie Kalkgestein.“
„Irgendjemand weiß davon…“
„Ja, viel schlimmer noch, er macht sich auch noch einen perversen Spaß draus. Wir fahren jetzt zur Polizei!“
„Was sollen wir denn da?“
„Den Kern anzeigen!“
„Anne, dass es bei zwei Jahrzehnte her.“
„Blöd sind, besser spät als nie. Und diesen ominösen Peter schlagmichtot auch direkt.“
Anne ließ ihre Dominanz spielen und ich hatte nur das Gefühl neben mir zu stehen. Als wäre ich wieder zehn Jahre alt, das Gefühl selbst schuld zu sein, den Ekel, das Unverständnis und das Wissen irgendwas verbotenes getan zu haben.
Der Besuch auf der Wache war ernüchternd. Das hätte nach so vielen Jahren wohl kaum noch Gewicht, trotzdem bestand Anne auf eine Anzeige gegen unbekannt für den Postkartenschreiber, die der Beamte eher genervt aufnahm, oder mochte es mir nur so vorgekommen sein? Es war vollkommen wirkungslos wie ich es Anne schon zu erklären versucht hatte.
In der Nacht lag ich noch lange wach und konnte mich nicht zum schlafen zwingen. Gegen meinen willen malte ich mir aus, wie irgendwer im Busch hockte und die Szenerie beobachtete um Jahre später in irgend einem Keller zu hocken und Postkarten zu schicken.
„Was für dich auch schön?“

Ich rief an und meldete mich krank. Das erste Mal seit dem ich dort angestellt war, trotzdem wurde der Chef nicht müde ein drittes Mal zu betonen für wie absolut unfähig der mich hielt. Ich schluckte das einfach, er war schlicht cholerisch, es war nicht zu ändern. Ich war nicht krank aber das schlechte Gewissen hielt sich trotzdem in Grenzen. Ich rief Anne an und teilte ihr mit was ich tun wollte. Sie hielt mich für übergeschnappt, ließ sich aber auch nicht davon abbringen mich begleiten zu wollen, nur zur Sicherheit betonte. Ich musste ihr Recht geben, man weiß nie was passiert. So verließ ich das Haus und fuhr zu ihr um sie von der Arbeit einzusammeln.
„Gut das so schnell warst, diese blöde Pute von der Personalabteilung hat mir aufgelauert. Dachte schon ich müsste mir den Finger in den Hals stecken, damit es glaubhaft wirkt.“
Anne machte sowas öfter, da wundert es mich nicht, dass die Kollegen misstrauisch wurden. Bis in die Stadt in der ich früher jeden Sommer verbracht hatte, fuhren wir gute drei stunden. Mit gelegentlichen Pausen inklusive Frühstück kamen wir gegen Mittag an. Die Straße hatte sich ziemlich verändert. Hätte ich nicht zweimal den Straßennamen geprüft, wäre ich daran vorbei gefahren. Die Fassaden glichen sich nun alle in der gleichen Weise, allein die Vorgärten machten jedes Grundstück individuell. Ich weiß nicht was es war, dass meinen Blick anzog, aber ich hielt den Wagen am Straßenrand und wusste, das ist es. Nummer drei.
„Wie damals, hm?“ Erkundigte Anne sich und löste ihren Gurt.
Ich krampfte meine Hände ans Steuer. 17 Jahre und ich kam starr vor Schreck nicht vom Fleck. Wie tief musste es sitzen? Ich versuchte mir einzureden das ist albern war, aber es half nichts. Erst als Anne ausstieg um die Tür ins Schloss schlug schnallte ich mich ab. Nach aussteigen war mir eigentlich nicht. Ich wusste nicht einmal was sich hier wollte. Wie bin ich nur auf diese blöde Idee gekommen?
Peter.
Anne öffnete meine Tür. Wir hatten darüber gesprochen. „Komm… ich bin bei dir.“
Ich schämte mich fürchterlich mich selbst vor meiner Seelenverwandten bloß zustellen, also riss ich mich weit gehend zusammen. Wir gingen auf das Haus zu in dessen Garten sich ein Kindheitstrauma manifestiert hatte.
„Weißt du noch wie die mit Nachnamen hießen?“ Fragte Anne und warf einen Blick auf das Klingelschild.
„Nein.. Für mich war das immer nur Onkel Michael.“
„Der liebe Onkel“, schnaubte Anne. „Oh“.
„Oh was?“ Ich sah auf.
Sie legte ihren Finger auf die Klingel. Ich las den Namen. Peter Schulze.
„Was für ein Zufall. Auf einmal bekommst du Postkarten von einem Peter Schlag mich tot und zufällig wohnt ein Peter Schulze in dem Haus von deinem Peiniger.“
Misch näherte sich der Hals zu, während in meiner Freundin gerechter Zorn erwachte. Gerade wollte ich Sie bitten, dass sie wieder fahren doch sie hielt mich fest und drückte die Klingel.
„Anne, ich glaub es hackt!“
„Sscht!“
Ich seufzte tief. Sie mich fest wie ein Straubstock. Kurz dachte ich darüber nach sie zu treten. Aber sie hatte recht. Kein Michael. Neuer Bewohner und wenn es wirklich gesuchter Peter wäre? Dann können einige Takte zu den mehr als unpassenden Postkarten nicht schaden. Aber es öffnete niemand, auch nicht nach mehrmaligem klingeln. Ich wusste dass man die Klingel hinten im Garten meist nicht hören konnte. Die Garage war zu, also konnte es gut möglich sein dass darin ein Wagen stand. Anne bat mich vorne zu warten, aber lieber betrat ich den Garten mit ihr zusammen als auch nur eine minute allein hier stehenzubleiben. Einmal tief durchatmend trat ich durch dasselbe Gatter wie vor Jahren, in genau denselben Garten. Dem Pool aus Plastik war einer aus Holz gewichen, alles andere war noch ziemlich dasselbe, was mich nicht im geringsten beruhigte.
„Susanne?“ Ich fuhr zusammen, als hätte mich der Blitz getroffen. Anne drehte sich um, ich folgte ihrem Beispiel mit zitternden Knien. Vor und stand ein gut gebauter junger Mann, mit vollem Haar, Dreitagebart in Jeans und T-Shirt. Er sah gut aus, viel zu um ihn als Postkarten schreibenden Soziopathen zu sehen. Aber wenn er das nicht war, woher sollte er mich dann namentlich kennen?
„Sind sie Peter Schulze?“, Fragte Anne und ich war dankbar dass sie sich so selten einschüchtern ließ.
„Ja…“ antwortete er, „ja der bin ich. Ich war unten im Keller und hab das klingeln nicht gehört.“ Er schenkte ihr keinen vollen Aufmerksamkeit, sondern sprach als würde er mir antworten. Sein Blick durchbohrte mich bis sich Anne dreist dazwischen schob.
„Und haben sie diebisches Vergnügen dabei, Postkarten durch die Gegend zu versenden?“
„In der Tat.“
Mir blieb die Luft weg, ich hatte das Gefühl als würde mir die Beine weg knicken. Er weiß wirklich.
„Sie bescheuert? Finden Sie das etwa lustig, oder macht es Sie einfach an, sich am Leid anderer zu ergötzen?!“ fauchte Anne.
Er schien überrascht. Seine Hände. „Halt, halt, halt“, versucht er zu beschwichtigen und eine schickte nicht direkt harsche Worte in seine Richtung, weil ich mich an ihrer Hand geklammert hatte.
„Ich verstehe nicht was Sie meinen.“
„Wenn Sie nicht auf der Stelle aufhören, meine Freundin zu belästigen, dann gebe ich Ihnen mal sehr deutlich zu verstehen was wir von ihren Perversitäten halten an denen sie sich aufgeilen!“, herrschte Anne ihn an.
Nun schien er völlig überfordert. Anne kann das. Selbst ich traute mich nicht was zu sagen, obwohl es genug Fragen gab. Wer er ist, woher er meinen Namen kannte und wieso die Postkarten gesendet wurden.
„Ich wollte noch nur Susanne Wiedersehen“, stammelte er bald hilflos.
„Wieso?“ krächtze ich, mir fehlte glatt die Stimme.
Erleichtert wirkte er, zumindest kurzfristig.
„Weil du mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen bist seit diesem Sommer. Wir haben doch vor etlichen Jahren zusammen eine Flaschenpost ins Meer geworfen, erinnerst du dich? Auf dieser Kaffeefahrt an der Ostsee.“
Anne sagte nichts mehr von mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Klar, die Bummelfahrt. Meine Oma hatte Kaffeefahrten geliebt und in dem Sommer hat sie mich zu einer mitgenommen. Eine Verkaufsshow mit anschließender Bummelfahrt um Borkum herum. Und weil ich mich so tierisch gelangweilt hatte, bin ich ein weggegangen und raffte einen Jungen. Eine leere Colaflasche und zwei Briefe später ging eine Flaschenpost auf die Reise. Ich nickte schließlich.
„Tja, jemand hat die Flaschenpost gefunden vor einem halben Jahr, der schickte dann einen Brief an mein Elternhaus, die riefen mich an und ich hatte mich an dich erinnert und nach langem Hin und her fand ich schließlich deine Adresse heraus und wusste nicht so recht wenig Kontakt aufnehmen sollte. Da stand ich im Laden von diesen Postkarten und hielt es für eine gute Idee…“
Ich verstand langsam… zumindest die Postkarten, wie selbsterklärend sie doch waren wenn man sie aus diesem Blickwinkel betrachtete. Wie dumm ich gewesen war! Wie ein unreifer, Hyper ventilierender Teenager. Eines aber, blieb absolut ungereimt.
„Wieso wohnst du in diesem Haus?“
„Ach“, ergriff sich in den Nacken als sei er ein wenig verlegen, „ich hab ja gesagt das ich versucht habe das Mädchen vom Boot zu finden und ich wusste noch woher du kannst, also habe ich mich durchgefragt und bin eher aus Zufall hier gelandet, da stand es zum Verkauf… weil ich die Hoffnung fast aufgegeben hatte dich zu finden, hatte ich gehofft, wenigstens in einer früheren Nachbarschaft…“
„Wenn das kein Zufall wäre, dann würde ich es Stalking nennen“, spottete Anne.
Einen Augenblick musste ich ihr Recht geben. Das klang schon irgendwie zu zufällig. Aber er ließ sich nicht beirren.
„Möchtest du die Flaschenpost sehen?“
„Du hast sie hier?“, staunte ich.
„Klar… sie bekam einen Ehrenplatz auf dem Kamin. Habt Ihr Lust? Dann setze ich auch einen Kaffee auf. Es sieht im Haus zwar noch etwas wüst aus, aber ich kam noch nicht Zum auspacken.“
Ich tauscht ein Blick mit Anne die keinem begeisterten Eindruck machte. Aber ich war so unfassbar erleichtert das sich gern noch wenigstens einen Moment in der Vergangenheit eintauchen wollte.
„Ich glaube eine Tasse Kaffee schadet uns nicht.“
Anne seufzte genervt, aber sie stimmte mich schließlich zu.
Peter lächelte über sein hübsches Gesicht, ging voran. Im Haus standen nach Renovierung zwar eine Menge Möbel an ihrem Platz, aber viele zum Teil geöffnete Kartons und andere Kisten versperrten den Weg. Peter räumte einige zur Seite, damit wir ungehindert passieren konnten. Das Haus erinnerte nur noch von der Raumverteilung an damals, der Rest war sogar recht modern renoviert. Anne und ich nahm auf dem Sofaplatz, während Peter zum Kamin liegen und da war sie - die etikettenlose Colaflasche mit den Blättern. Er gab sie mir und während ich sie in Korb der Dinge in die Küche um ein versprochener Kaffee aufzusetzen. Ich zog die Blätter aus der Flasche Anne erhob sich.
„Wo gibt es denn hier ein Bad?“, Rief sie. Peter kann über eine Kiste steigen aus der Küche.
„Hier den Flur runter, warte, ich räume da die Kartons weg.“
Anne folgte ihm, während ich gespannt die Briefe las. Peters Handschrift war kaum zu entziffern, nicht nur weil das Wasser die Tinte verwischt hatte sondern weil er wirklich eine grausame Handschrift hatte. Er musste viel geübt haben, wenn ich an die schöne Schrift auf den Postkarten dachte. Das war fast ein wenig romantisch, und dann sah er auch noch so gut aus. Seufzend schob ich die Briefe zurück in die Flasche und stellte sie wieder auf dem Kaminsims.
Wo blieben die beiden? Ich stand auf und ging den Flur runter. Ich war so erleichtert das ich mich fast schwerelos fühlte. Dort die Tür, sie stand einen spalt offen, das ich neugierig wurde. Ich schob die Tür einen spalt breiter auf und spürte wie mir das Herz in der Brust zersprang. Ich glaubte ein Schlafzimmer vorzufinden, aber das was ich sah, war schrecklich. Die Wände waren tapeziert mit Zeitungsausschnitten über Michael Schulze, einem großen Bild von dem ‚lieben Onkel’. Ich erkannte ihn gleich wieder. Mir blieb die Luft weg. Ausschnitte aus den Lokalen Blättern, man habe in seinem Haus mehrere Skelette gefunden und könnte missbrauch nicht ausschließen. Dann gab es die Meldung man hätte ihn nach langer Fahndung geschnappt. Er saß im Gefängnis. Ich konnte mich nicht darüber freuen, noch entsetzt sein darüber das er wirklich noch weiter gegangen war, als mich dabei zusehen zu lassen wie onanierte. In meinem Kopf drehte sich alles, wieso hatte Peter solche Dinge im Haus? War der Raum einfach noch nicht renoviert worden?
„Oh nein, das solltest du doch noch gar nicht sehen…“, raunte Peter hinter mir.
Ich zuckte zusammen, als seine Hand plötzlich auf meiner Schulter lag. Sie hinterließ einen rotfarbenen Fleck auf meinem weißen Shirt. Oh Gott, Anne!
„W…..warum?“
„Weißt du, sie rollen den Fall nicht noch mal neu auf, aber jedes weitere Geständnis von irgendwem könnte die Staatsanwaltschaft dazu bringen meinen Vater nur noch länger festzuhalten.. also gab er mir eine Liste mit den potenziellen. War ziemlich schwierig dich zu finden, wegen dem neuen Namen und so, aber jetzt bist du ja hier…“
Ich wusste dass er mit irgendwas Schwung holte aber ich konnte mich nicht bewegen. Schließlich spürte ich den harten Hieb an meinem Hinterkopf, ich sah noch wie ich durch die Tür in diesen perversen Altarraum fiel und dann wurde meine Welt dunkel.

Ende.

Vielen Dank fürs Lesen. Freue mich über Kommentare mit konstruktiver Kritik, Anmerkungen und vielleicht sogar Lob. Die Rechte am Text liegen selbstverständlich bei mir.
Texte dürfen nur in wortgetreuen Auszügen und mit Angabe der Quelle, also kussdermuse.blogspot.com und zottelkind.blogspot.com übernommen werden.

1 Kommentar:

  1. Die Geschichte ist genau nach meinem Geschmack. Kurz, knackig, gruselig. Genial. Bitte mehr davon ^^

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