Samstag, 3. April 2010

Kuss der Muse: Sie nannten es Liebe

Also ab und an hab ich ja so kurze Momente wo ich was niederschreibe und las gerade einen dieser Kurztexte und bin der Meinung sie versteckt zu halten sei pure Verschwendung. Also belästige ich meine Blogleser damit. Viel Spaß!
Sie nannten das 'Liebe'

Man kann mit der Erziehung eines Kindes, viele Fehler machen. Manche Fehler bügeln sich mit der Zeit aus. Andere, die dauerhaften werden sich unterbewusst in den Schädel des Kindes brennen und ihm im späteren Leben immer wieder schaden, oder anderen. Viele Eltern erzählen ihren Kindern bewusst Lügen, manchmal um die Phantasie anzuregen, manchmal um der unangenehmen Wahrheit aus dem Weg zu gehen und die Verantwortung von sich zu schieben. Eine imposante und hartnäckige Lüge, spielte sich am 16.06.1994, in einem imposanten Herrenhaus am Rande Londons ab, von der jetzt geschrieben wird.

Ein kleiner Junge, gekleidet in den teuersten und schönsten Sachen, die es auf dem Markt zu finden gab, saß auf der Stufe und presste sein Gesicht beinahe vollständig durch die Stäbe des Treppengeländers. Seine kleinen grünen Augen verfolgten in schüchterner Zurückhaltung wie bodenloser Neugier die Szene die sich in der großen Diele abspielte. Da stand sein Vater, ein seriös gekleideter Mann, der ständig einen Blick auf die Wanduhr warf und von Sekunde zu Sekunde immer wütender schien. Die Mutter des Jungen, war nicht im Haus. Sie war nicht dort, wo sie hätte sein müssen um diese Uhrzeit. Das scharren der Schuhe vom Vater war neben einem wütenden Brummen und dem beständigen Tick-Tack das einzige was im Haus zu hören war. Schon längst hatten die Angestellten ihren Dienst für heute beendet, vor Stunden hatte auch das Küchenpersonal seinen Arbeitsplatz geräumt. Plötzlich ein klacken im Türschloss. Die Augen des Jungen lagen auf der Tür, voller Spannung, aber schnell huschte dieser wieder zu seinem Vater dessen angespannte Schultern durchgedrückt wurden, die Fäuste geballt. Die Luft lag bleiern und schwer in dem großen Raum. Unheil verkündend.

Seine geballte Faust traf sie nicht ganz unvorbereitet, als sie die Tür erstmal offen hatte und eingetreten war. Mit bedacht hatte sie den Taxifahrer vor dem Anwesen halten lassen um ihm diese Szene zu ersparen. Sie taumelte unter der Wucht des Schlages zurück, er schmiss die Tür zu, der laute knall ließ den Jungen zusammen zucken, der noch immer Zeuge dieser Szene war. Ihren zarten Körper hatte der Vater gegen die Wand geschubst: Er schrie unentwegt auf sie ein, doch jeder neue Fluch löste einen neuen Tritt in ihren Unterleib, einen neuen Schlag in ihr Gesicht aus, das ihr Blut, das unentwegt spritze, die exklusive Tapete ruinierte.

Die Mutter schrie, sie litt schmerzen unter jeden neuen Wucht des wütenden Vaters, doch niemand außer dem Jungen hörte ihre Schreie. Es kam ihr niemand zur Hilfe, das tat nie jemand. Eigentlich müsste Mutter das doch schon längst wissen, dachte der Junge und löste seinen Blick nicht von seinen Eltern. Vater war ein starker Mann und Mutter eine schwache Frau. Der Vater war für die Mutter verantwortlich und musste sie züchtigen damit sie nicht den Sünden der Welt verfiel. Doch auch der kleine Junge vermochte es nicht seinen Vater zu stören. Seine Mutter war viel zu spät heimgekehrt, Vater hatte sich sorgen gemacht. Er wollte Mutter schützen, vor sich selbst, vor anderen, vor dem Mangel an Disziplin und Gefolgschaft. Das sagte er immer und das der Vater sagte, war immer richtig. Vater nannte das: „Liebe“

Es lag kein Schrecken in den Augen des Jungen. Das war etwas vollkommen Normales für ihn. Für den Vater und für die Mutter. Für den Großvater und die Großmutter. Auch für den Onkel und die Tante, die sie hin und wieder besuchten. „Männer sollen vor Frauen bevorzugt werden“, hatte ihm der Großvater gesagt, wie er es auch seinem Sohn schon beigebracht hatte, „weil wir für sie verantwortlich sind, weil Gott auch die einen vor den anderen mit Vorzügen begabte und auch weil jene diese erhalten. Rechtschaffende Frauen sollen gehorsam, treu und verschwiegen sein, damit auch Gott sie beschütze. Denjenigen Frauen aber, von denen du fürchtest, dass sie dich durch ihr betragen erzürnen, gebe Verweise, enthalte dich ihrer, sperr sie in ihre Gemächer und züchtige sie. Gehorchen sie dir aber, dann suche keine Gelegenheit, gegen sie zu zürnen.“

Als die Tränen getrocknet, die Wunden geleckt waren hatte die Mutter sich unter ächzen und stöhnen wieder auf die Beine gestellt und den Jungen nach oben in sein Zimmer gebracht, wo er schon seit Stunden hätte sein müssen, da legte sie sich zu ihm auf das Bett und drückte ihn fest an sich heran. „Papa meint das alles nicht so“, sagte sie da mehr zu sich, als zu ihrem Sohn und streichelte ihm behutsam über den kleinen Kopf, „Es tut schon gar nicht mehr weh, der Rest wird abheilen.“ Er blinzelte sie an, lauschte ihren Worten. „Papa und ich, wir lieben uns. Er tut das nur weil er mich liebt“, flüsterte sie sich behutsam zu.

Es liegt dem Menschen nicht ferner als wegen Scham, ihre Unschuld, auch wenn sie nicht zutreffend ist, zu bewahren. Manche Lügen korrigieren sich mit der Zeit. Wie die vom Weihnachtsmann und der Zahnfee. Die Lüge aber, dass es Liebe wäre, die einem so deutlich in Jungen Jahren eingebläut wurde, die wird nur schwerlich, oder gar niemals schwinden. Denn noch nie, war die Zahnfee gekommen um Mutters Zähne vom Boden aufzulesen.


Gruß


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