Kuss der Muse: Flaschenpost [Kurzgeschichte]
Ich hatte mir nichts dabei gedacht, als ich die Post aus dem Briefkasten
zog. Es war ein Ritual wie jeden Abend nach der Arbeit. Und es brachte in der
Regel nichts weiter als Rechnungen, ab und an auch eine Mahnung und vor allem
Reklame. Meine beste Freundin Anne lachte jedes Mal über das Wort. Wo sie zum
Wort Werbung greift war es bei mir immer nur Reklame. Das lag wohl einfach
daran das, als ich noch jünger ich war meine kompletten Sommerferien bei meinen
Großeltern verbracht habe. Die gebrauchten das Wort Reklame zwar auch nicht,
aber bei ihnen lief Tag ein, Tag aus das Radio und immer wenn zwischen uralten
Klassikern wie Baby Blues und Love me Tender, die Moderatoren Luft holten
schalteten sie die Reklame ein, mit vollmundiger Ankündigung. Also war das allabendliche
Ritual Post aus dem Briefkasten zu ziehen eine kleine Erinnerung an viele
unbeschwerte Tage meiner Kindheit. Mittlerweile verbrachte ich meine Sommer
nicht mehr bei meinen Großeltern, aber ich sollte an diesem Abend eine ganz
spezielle Erinnerung an sie wieder wachrufen, als ich neben zwei Briefen auch
eine Postkarte hervorzog. Darauf abgebildet, eine Flaschenpost in weißem Sand,
dekorativ einige Muscheln Drumherum drapiert. Ich kann mich gar nicht daran
erinnern, wann ich zum letzten Mal eine Postkarte bekommen hatte, es musste
Jahre her sein. Wenn nicht sogar ein Jahrzehnt. Postkarten kamen irgendwie aus
der Mode, wenn man nicht gerade Freunde hatte die welche aus ihrem Urlaub
sendeten um einen der Daheimgebliebenen so richtig neidisch und verbittert zu
wünschen. Die Handschrift war fein, fast schon zu schön um tatsächlich von
einem Mann zu stammen, aber unter den wenigen Zeilen stand tatsächlich der Name
Peter. Ich hatte keine Freunde die so hießen und selbst in der Familie gab es
niemanden. Auf der Arbeit gab es einen, aber es müsste schon einiges kommen,
bevor der eine Postkarte verschicken würde. Zumal ich wusste das er eine
Sauklaue besaß die man nur unter schwersten Anstrengungen entziffern konnte.
Besagter Peter war nämlich mein Chef und ich seine Sekretärin. Ich überflog die
Zeilen. Die Zeile wohl eher, denn es gab nur eine. „Sommer 1995 – Peter.“ Vor
siebzehn Jahren, als ich zehn Jahre alt gewesen war. Ich stieg in den Aufzug
der mich in den achten Stock befördern würde und sah mir die Karte genauer an.
Sommer 1995. Der letzte Sommer den ich bei meinen Großeltern verbracht hatte.
Wo meine Oma mir eines Abends UNO beigebracht hatte und ich ganz wild drauf
wurde, das ich Oma und Opa jeden Abend gebeten hatte die Karten auszupacken.
Der Sommer wo mein Opa mir beigebracht hatte, wie man flicht. Und wenn wir
nicht UNO gespielt hatten, flocht ich mit Begeisterung alles, was ich in die
Finger bekam. Schnüre, Bänder, Omas Wollknäuel und zum Ärgernis der beiden, die
flatterhaften Bänder des Türvorhangs. Im Sommer 1995 beschloss ich nicht mehr
die Ferien bei ihnen zu verbringen. Dazu kam ein Schulwechsel und ich lernte
Anne kennen. Selbstverständlich verbrachten wir die Schulferien immer zusammen.
Anne und ich, es gab uns immer nur im Doppelpack, meine erste Freundin. Auch
wenn man den Sommer bis dahin in einer Enkelfreudlichen Siedlung verbrachte,
habe ich kaum bis gar keinen Kontakt zu anderen Kindern gehabt. Immer nur meine
Großeltern und dessen Freunde. Das bescherte mir ungeteilte Aufmerksamkeit und
einen Haufen Süßigkeiten, dem ich ein bisschen meine jetzige Figur zu verdanken
hatte. Doch warum sollte irgendein Peter mich genau an diesen Sommer erinnern?
Ich stieg aus dem Fahrstuhl, lief zu meiner Tür und schloss auf. Hatte es
unter all den Nachbarn einen Peter gegeben? Selbst wenn, erinnern würde ich
mich doch nicht. Das alles wurde immer merkwürdiger.
Ich pinnte die Postkarte an die Wand und beschäftigte mich mit den
Briefen. Ein Lohnbescheid der mich nur frustieren würde, weshalb ich ihn ungeöffnet
ließ und einen Gutschein für zwei Wochen Türkei. Reklame. Eine Weile machte ich
mir noch meine Gedanken zu der Postkarte, aber mit dem schnellen Abendessen und
dem Anruf vom Chef, der alles andere als erfreulich war, vergaß ich das grübeln
und auch den Grund für die Postkarte. Zumindest bis zu dem Tag, eine ganze
Woche später, als ich erneut eine aus dem Briefkasten zog.
„Merkwürdig“, kommentierte Anne über ihren Karamell Macchiato hinweg und
legte beide Postkarten zurück auf den Tisch.
„Ist das alles?“, wollte ich wissen.
„Was willst du hören? Du hast mir zwar davon erzählt das du im Sommer bei
deinen Großeltern aufgewachsen bist, aber Einzelheiten kenne ich auch nicht um
dir das irgendwie zu erklären Susi.“
Ich seufzte und nahm die Karten wieder an mich. Auch die zweite zeigte
eine Flaschenpost, nur die Worte hatten sich geändert, wenn auch nicht alle.
Als Absender galt immer noch Peter. Peter den ich nicht kannte, und wenn doch
war er niemand gewesen, die mich in Erinnerung behalten hätte.
„Offensichtlich will dieser Peter auf etwas bestimmtes hinweisen, was
damals passiert ist“, riet Anne.
„Glaubst du, ich hätte noch nicht alles abgerufen an was ich mich
erinnern kann? Ich weiß nicht worauf ich hinweisen will.“
Anderes mir die Karten auf der Hand und las sie laut für sich vor. Oder
für mich?
„Sommer 1995“, und „Nachbarsgarten.“ Sie gluckste.
„Eine flotte Nummer in Nachbars Garten mit dem Jungen von gegenüber?“
Ich schnaubte entsetzt auf: „Hallo? Ich war da erst zehn Jahre und selbst
wenn ich über früh reif gewesen wären, würde ich mich doch wohl an so etwas
erinnern!“
Es gab Momente, da fand ich sie wirklich unmöglich, andererseits hielt
ich inne. Der Grund warum ich ab 95 meine Großeltern nicht mehr besucht hatte.
Mein Gesicht musste viel an Farbe verloren haben, so dass Anne besorgt ihre
Hand auf meine gelegt hatte. „Alles in Ordnung?“
Ich sammelte mich, so schnell ich konnte.
„Klar…“ ich sah dass sie mir das nicht so recht abkaufen wollte und
setzte ein Lächeln auf, obwohl mir alles andere zumute war.
„Sicher?“ Sie kannte mich doch viel zu gut um ihr glaubhaft Dinge zu
verheimlichen, und anlügen wollte ich sie auch nicht, denn wem konnte ich schon
davon erzählen, wenn nicht ihr?
„Ich glaube ich weiß jetzt worauf dieser Peter hinaus will“, aber… ich wüsste
nicht wieso er davon wissen könnte. Punkt. Wir waren doch alleine…“
vermutlich würde Anne jetzt grinsen und doch wieder auf das Gebüsch und
dem Nachbarsjungen zurückkommen, aber ich musste aussehen als ob ich dem
leibhaftigen begegnet war, so dass sie sich ihre eigentliche unbekümmerte Art
verkniff.
„Susi, das ist denn da bloß passiert?“
Die Straße in der meine Großeltern wohnten war bevölkert von älteren
Leuten, die entweder keine Kinder hatten oder dessen Nachwuchs schon längst
außer Haus war. Erst wenn man die Straße viel weit herunter lief stieß man auf
jüngere Familien. Meine Sommerferienwelt drehte sich aber nicht viel weiter als
in einem Radius von sechs Häusern. Das schuf eine familiäre Atmosphäre und alle
Nachbarn waren für mich automatisch Onkel und Tanten, denn es hieß oft nur:
„Susi bringst du der Tante Angelika ihren Korb zurück?“ „Fragst du Onkel Hubert
mal ob er eine Tasse Mehl für uns hat?“.
Es gab Tage da spielte ich oft den mobilen Fernsprecher, aber es machte
bisweilen sogar Spaß. Wenn ich zu Tante Angelika gehen sollte fielen immer ein
paar Bonbons in meine Tasche. Bei Tante Hildegard gab es immer was Süßes aus
dem Garten, stets die Früchte der Saison. Von Onkel Michael und Tante Irmgard
gab es immer Schokolade in kleinen Täfelchen. Der Tag den ich mir so lange
verdrängt wieder ins Gedächtnis rief, war richtig warm. Wie jeden Tag in den
Ferien bimmelte punkt drei Uhr der Eiswagen in der Straße. Für eine zweite
Kugel im Becher fehlten mir ein paar Münzen aber zum Glück tauchte Michael auf
und legte den Fehlbetrag aus. Er streichelte mich jovial über den Kopf und ich
genoss meinen ersten Löffel. Er begleitete mich zu meinen Großeltern zurück,
weil er ohnehin auf den Weg gewesen war. Während ich auf der Schaukel meinen
Eisbecher leer löffelte tranken Michael und mein Opa hier nachmittags Bier
zusammen. Kurz darauf rief sie mich dazu und man schlug mir vor Michael beim
Unkraut jäten in seinen Garten zu helfen. Ich hatte meiner Oma manchmal dabei
geholfen und fand das eher lästig und langweilig, aber ich wurde mit etwas
großartigem doch überredet. Ein riesiges Planschbecken. Bei meinen Großeltern
gab es keinen Pool und für eines für Kleinkinder war ich schon zu alt, also gab
es dort nur ein Schlauch. Also genau das richtige für den heißen Tag und ich
stimmte zu. Kaum war mein Eisbecher leer gingen wir gemeinsam in zwei in seinen
Garten. Den Pool gab es doch, aus dem Unkraut jeden ist aber nie etwas
geworden. Zu aller erst gab es ein Glas Limonade, für ihn noch ein Bier. Wir
tranken draußen im Garten. Während ich ausgefragt wurde, wie es mir bei Oma und
Opa gefiele und wie es meinen Eltern ging, hatte er seine Hand in den Shorts.
Mir fiel der Kronkorken von der Limoflasche runter, ich beugte mich vor um ihn
aufzuheben und konnte sehen wie er sich selbst massierte. Auf zweierlei Arten
beobachtend tauchte ich wieder auf natürlich wusste ich was er da in der Hand
hielt. Mit einem gewissen Maß an Ekel den man an erzogen hatte und verbotener
Faszination schlug mir das Herz bis zum Hals. Er grinste. In kindlicher
Neugier, schätze ich, bückte ich mich wieder um das zu sehen. Wie ertappt
richtete ich mich wieder auf und versuchte das an erzogene Pfui zu vergessen,
aber jeder der schon mal versucht hat sich in der Kirche das Lachen zu
verkneifen, weiß wovon ich rede, denn das ist kaum bis gar nicht möglich. Ihn schien
das zu belustigen, denn im Gegensatz zu mir fühlte er sich nicht ertappt. Ein
Ekel stieg in mir auf, ich trank meine Limo schnell leer und entschuldigte mich
knapp und lief zurück zu Oma und Opa. Ich erzählte ihnen nichts davon. In
diesem Sommer war ich zum letzten Mal in den Ferien da.
Als ich mit meiner Erzählung fertig war, stieß Anne einen rüden Fluch
aus. Wie damals schlug mein Herz wie die Flügel eines Kolibris. Mich in der
Gegenwart wiederzufinden war beruhigend, aber der üble Nachgeschmack dieser
noch so detaillierten Zeitreise lag mir bitter auf den Lippen. 17 Jahre später
noch.
„Der Kerl ist doch total krank! Hast du ihn angezeigt?“
„Ich war zehn. Ich wusste so was macht man nicht, aber ich wusste ja
nicht das es-“
„Pädophiles Drecksschwein“, fluchte Anne.
„Nicht zu ändern. Es ist 17 Jahre her und da war die Welt, gerade in
dieser Siedlung mit der Anzahl alter Generationen so. Sowas gab es nicht und
wer hätte einer zehnjährigen schon sowas geglaubt, zumal ich mich schuldig
gefühlt hatte, himmel ich tut es heute noch, weil ich tatsächlich hingesehen
habe. Zweimal.“
„Man Susi, erzähl doch kein Quatsch! Er ist das Schwein nicht du! Ich
will mir gar nicht vorstellen, was passiert wäre wenn du da nicht abgehauen
wärst!“
Mir wurde kalt. Nicht auszumalen, was noch hätte passieren können.
„Du solltest ihn anzeigen.“
Ich schnäuzte ein Taschentuch. „Ist doch eh viel zu spät dafür… im Grunde
hat er ja auch gar nichts gemacht.“
„Außer sich vor einer minderjährigen einen runtergeholt zu haben“,
empörte sich Anne.
„Sowas verjährt doch. Meinst du irgendwie kriegt danach, was vor 17
Jahren passiert ist?“
Ich wunk ab. Ich wusste das Anne sich fürchterlich aufregt hatte, aber
ich wollte das alles nicht noch jemandem erzählen, nur wieder vergessen was
war.
Ich stecke die Postkarten wieder ein und nahm mir fest vor sie auf dem
Weg nachhause in irgendeiner Mülltonne zu entsorgen. Ich wollte sie nicht im
Haus haben.
Anni ging nicht darauf ein, wofür ich dankbar war und als wir die Woche
drauf vom samstags shoppen ein Abstecher zu mir machten und ich im Briefkasten
eine dritte Postkarte fand, war das Thema mit einem Mal wieder so präsent wie
zuvor. Ich las die Worte und spürte Saures mein Hals aufsteigen, das sich auf
die Zunge brannte. Anne riss sie mir trotz Gegenwehr aus den Händen und gab
bald so erschrocken wie ich Laut von sich. Doch im Gegensatz zu mir gewandt wie
man Fassung wieder. Sie riss die Karte in zwei Teile.
„Nicht!“
„Was?! Willst Du das etwa irgendwo aufhängen, oder was? Das ist
widerlich!“ Sie hielt inne, statt die Karte weiter zu zerreißen: „Hast recht,
das ist ein Beweis!“
„Beweis für was denn?“
„Weiß der Geier!“, sie steckte die Karte ein.
„In jedem Fall bewahre ich sie auf. Du siehst schon wieder aus wie
Kalkgestein.“
„Irgendjemand weiß davon…“
„Ja, viel schlimmer noch, er macht sich auch noch einen perversen Spaß
draus. Wir fahren jetzt zur Polizei!“
„Was sollen wir denn da?“
„Den Kern anzeigen!“
„Anne, dass es bei zwei Jahrzehnte her.“
„Blöd sind, besser spät als nie. Und diesen ominösen Peter schlagmichtot
auch direkt.“
Anne ließ ihre Dominanz spielen und ich hatte nur das Gefühl neben mir zu
stehen. Als wäre ich wieder zehn Jahre alt, das Gefühl selbst schuld zu sein,
den Ekel, das Unverständnis und das Wissen irgendwas verbotenes getan zu haben.
Der Besuch auf der Wache war ernüchternd. Das hätte nach so vielen Jahren
wohl kaum noch Gewicht, trotzdem bestand Anne auf eine Anzeige gegen unbekannt
für den Postkartenschreiber, die der Beamte eher genervt aufnahm, oder mochte
es mir nur so vorgekommen sein? Es war vollkommen wirkungslos wie ich es Anne
schon zu erklären versucht hatte.
In der Nacht lag ich noch lange wach und konnte mich nicht zum schlafen
zwingen. Gegen meinen willen malte ich mir aus, wie irgendwer im Busch hockte
und die Szenerie beobachtete um Jahre später in irgend einem Keller zu hocken
und Postkarten zu schicken.
„Was für dich auch schön?“
Ich rief an und meldete mich krank. Das erste Mal seit dem ich dort
angestellt war, trotzdem wurde der Chef nicht müde ein drittes Mal zu betonen
für wie absolut unfähig der mich hielt. Ich schluckte das einfach, er war
schlicht cholerisch, es war nicht zu ändern. Ich war nicht krank aber das
schlechte Gewissen hielt sich trotzdem in Grenzen. Ich rief Anne an und teilte
ihr mit was ich tun wollte. Sie hielt mich für übergeschnappt, ließ sich aber
auch nicht davon abbringen mich begleiten zu wollen, nur zur Sicherheit
betonte. Ich musste ihr Recht geben, man weiß nie was passiert. So verließ ich
das Haus und fuhr zu ihr um sie von der Arbeit einzusammeln.
„Gut das so schnell warst, diese blöde Pute von der Personalabteilung hat
mir aufgelauert. Dachte schon ich müsste mir den Finger in den Hals stecken,
damit es glaubhaft wirkt.“
Anne machte sowas öfter, da wundert es mich nicht, dass die Kollegen
misstrauisch wurden. Bis in die Stadt in der ich früher jeden Sommer verbracht
hatte, fuhren wir gute drei stunden. Mit gelegentlichen Pausen inklusive
Frühstück kamen wir gegen Mittag an. Die Straße hatte sich ziemlich verändert.
Hätte ich nicht zweimal den Straßennamen geprüft, wäre ich daran vorbei
gefahren. Die Fassaden glichen sich nun alle in der gleichen Weise, allein die
Vorgärten machten jedes Grundstück individuell. Ich weiß nicht was es war, dass
meinen Blick anzog, aber ich hielt den Wagen am Straßenrand und wusste, das ist
es. Nummer drei.
„Wie damals, hm?“ Erkundigte Anne sich und löste ihren Gurt.
Ich krampfte meine Hände ans Steuer. 17 Jahre und ich kam starr vor
Schreck nicht vom Fleck. Wie tief musste es sitzen? Ich versuchte mir
einzureden das ist albern war, aber es half nichts. Erst als Anne ausstieg um
die Tür ins Schloss schlug schnallte ich mich ab. Nach aussteigen war mir
eigentlich nicht. Ich wusste nicht einmal was sich hier wollte. Wie bin ich nur
auf diese blöde Idee gekommen?
Peter.
Anne öffnete meine Tür. Wir hatten darüber gesprochen. „Komm… ich bin bei
dir.“
Ich schämte mich fürchterlich mich selbst vor meiner Seelenverwandten
bloß zustellen, also riss ich mich weit gehend zusammen. Wir gingen auf das
Haus zu in dessen Garten sich ein Kindheitstrauma manifestiert hatte.
„Weißt du noch wie die mit Nachnamen hießen?“ Fragte Anne und warf einen
Blick auf das Klingelschild.
„Nein.. Für mich war das immer nur Onkel Michael.“
„Der liebe Onkel“, schnaubte Anne. „Oh“.
„Oh was?“ Ich sah auf.
„Oh was?“ Ich sah auf.
Sie legte ihren Finger auf die Klingel. Ich las den Namen. Peter Schulze.
„Was für ein Zufall. Auf einmal bekommst du Postkarten von einem Peter
Schlag mich tot und zufällig wohnt ein Peter Schulze in dem Haus von deinem
Peiniger.“
Misch näherte sich der Hals zu, während in meiner Freundin gerechter Zorn
erwachte. Gerade wollte ich Sie bitten, dass sie wieder fahren doch sie hielt
mich fest und drückte die Klingel.
„Anne, ich glaub es hackt!“
„Sscht!“
Ich seufzte tief. Sie mich fest wie ein Straubstock. Kurz dachte ich
darüber nach sie zu treten. Aber sie hatte recht. Kein Michael. Neuer Bewohner
und wenn es wirklich gesuchter Peter wäre? Dann können einige Takte zu den mehr
als unpassenden Postkarten nicht schaden. Aber es öffnete niemand, auch nicht
nach mehrmaligem klingeln. Ich wusste dass man die Klingel hinten im Garten
meist nicht hören konnte. Die Garage war zu, also konnte es gut möglich sein
dass darin ein Wagen stand. Anne bat mich vorne zu warten, aber lieber betrat
ich den Garten mit ihr zusammen als auch nur eine minute allein hier
stehenzubleiben. Einmal tief durchatmend trat ich durch dasselbe Gatter wie vor
Jahren, in genau denselben Garten. Dem Pool aus Plastik war einer aus Holz
gewichen, alles andere war noch ziemlich dasselbe, was mich nicht im geringsten
beruhigte.
„Susanne?“ Ich fuhr zusammen, als hätte mich der Blitz getroffen. Anne
drehte sich um, ich folgte ihrem Beispiel mit zitternden Knien. Vor und stand
ein gut gebauter junger Mann, mit vollem Haar, Dreitagebart in Jeans und
T-Shirt. Er sah gut aus, viel zu um ihn als Postkarten schreibenden Soziopathen
zu sehen. Aber wenn er das nicht war, woher sollte er mich dann namentlich
kennen?
„Sind sie Peter Schulze?“, Fragte Anne und ich war dankbar dass sie sich
so selten einschüchtern ließ.
„Ja…“ antwortete er, „ja der bin ich. Ich war unten im Keller und hab das
klingeln nicht gehört.“ Er schenkte ihr keinen vollen Aufmerksamkeit, sondern
sprach als würde er mir antworten. Sein Blick durchbohrte mich bis sich Anne
dreist dazwischen schob.
„Und haben sie diebisches Vergnügen dabei, Postkarten durch die Gegend zu
versenden?“
„In der Tat.“
Mir blieb die Luft weg, ich hatte das Gefühl als würde mir die Beine weg
knicken. Er weiß wirklich.
„Sie bescheuert? Finden Sie das etwa lustig, oder macht es Sie einfach
an, sich am Leid anderer zu ergötzen?!“ fauchte Anne.
Er schien überrascht. Seine Hände. „Halt, halt, halt“, versucht er zu
beschwichtigen und eine schickte nicht direkt harsche Worte in seine Richtung,
weil ich mich an ihrer Hand geklammert hatte.
„Ich verstehe nicht was Sie meinen.“
„Wenn Sie nicht auf der Stelle aufhören, meine Freundin zu belästigen,
dann gebe ich Ihnen mal sehr deutlich zu verstehen was wir von ihren Perversitäten
halten an denen sie sich aufgeilen!“, herrschte Anne ihn an.
Nun schien er völlig überfordert. Anne kann das. Selbst ich traute mich
nicht was zu sagen, obwohl es genug Fragen gab. Wer er ist, woher er meinen
Namen kannte und wieso die Postkarten gesendet wurden.
„Ich wollte noch nur Susanne Wiedersehen“, stammelte er bald hilflos.
„Wieso?“ krächtze ich, mir fehlte glatt die Stimme.
Erleichtert wirkte er, zumindest kurzfristig.
„Weil du mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen bist seit diesem Sommer.
Wir haben doch vor etlichen Jahren zusammen eine Flaschenpost ins Meer
geworfen, erinnerst du dich? Auf dieser Kaffeefahrt an der Ostsee.“
Anne sagte nichts mehr von mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Klar,
die Bummelfahrt. Meine Oma hatte Kaffeefahrten geliebt und in dem Sommer hat
sie mich zu einer mitgenommen. Eine Verkaufsshow mit anschließender Bummelfahrt
um Borkum herum. Und weil ich mich so tierisch gelangweilt hatte, bin ich ein
weggegangen und raffte einen Jungen. Eine leere Colaflasche und zwei Briefe
später ging eine Flaschenpost auf die Reise. Ich nickte schließlich.
„Tja, jemand hat die Flaschenpost gefunden vor einem halben Jahr, der
schickte dann einen Brief an mein Elternhaus, die riefen mich an und ich hatte
mich an dich erinnert und nach langem Hin und her fand ich schließlich deine
Adresse heraus und wusste nicht so recht wenig Kontakt aufnehmen sollte. Da
stand ich im Laden von diesen Postkarten und hielt es für eine gute Idee…“
Ich verstand langsam… zumindest die Postkarten, wie selbsterklärend sie
doch waren wenn man sie aus diesem Blickwinkel betrachtete. Wie dumm ich
gewesen war! Wie ein unreifer, Hyper ventilierender Teenager. Eines aber, blieb
absolut ungereimt.
„Wieso wohnst du in diesem Haus?“
„Ach“, ergriff sich in den Nacken als sei er ein wenig verlegen, „ich hab
ja gesagt das ich versucht habe das Mädchen vom Boot zu finden und ich wusste
noch woher du kannst, also habe ich mich durchgefragt und bin eher aus Zufall
hier gelandet, da stand es zum Verkauf… weil ich die Hoffnung fast aufgegeben
hatte dich zu finden, hatte ich gehofft, wenigstens in einer früheren
Nachbarschaft…“
„Wenn das kein Zufall wäre, dann würde ich es Stalking nennen“, spottete
Anne.
Einen Augenblick musste ich ihr Recht geben. Das klang schon irgendwie zu
zufällig. Aber er ließ sich nicht beirren.
„Möchtest du die Flaschenpost sehen?“
„Du hast sie hier?“, staunte ich.
„Klar… sie bekam einen Ehrenplatz auf dem Kamin. Habt Ihr Lust? Dann
setze ich auch einen Kaffee auf. Es sieht im Haus zwar noch etwas wüst aus,
aber ich kam noch nicht Zum auspacken.“
Ich tauscht ein Blick mit Anne die keinem begeisterten Eindruck machte.
Aber ich war so unfassbar erleichtert das sich gern noch wenigstens einen
Moment in der Vergangenheit eintauchen wollte.
„Ich glaube eine Tasse Kaffee schadet uns nicht.“
Anne seufzte genervt, aber sie stimmte mich schließlich zu.
Peter lächelte über sein hübsches Gesicht, ging voran. Im Haus standen
nach Renovierung zwar eine Menge Möbel an ihrem Platz, aber viele zum Teil
geöffnete Kartons und andere Kisten versperrten den Weg. Peter räumte einige
zur Seite, damit wir ungehindert passieren konnten. Das Haus erinnerte nur noch
von der Raumverteilung an damals, der Rest war sogar recht modern renoviert.
Anne und ich nahm auf dem Sofaplatz, während Peter zum Kamin liegen und da war
sie - die etikettenlose Colaflasche mit den Blättern. Er gab sie mir und
während ich sie in Korb der Dinge in die Küche um ein versprochener Kaffee
aufzusetzen. Ich zog die Blätter aus der Flasche Anne erhob sich.
„Wo gibt es denn hier ein Bad?“, Rief sie. Peter kann über eine Kiste
steigen aus der Küche.
„Hier den Flur runter, warte, ich räume da die Kartons weg.“
Anne folgte ihm, während ich gespannt die Briefe las. Peters Handschrift
war kaum zu entziffern, nicht nur weil das Wasser die Tinte verwischt hatte
sondern weil er wirklich eine grausame Handschrift hatte. Er musste viel geübt
haben, wenn ich an die schöne Schrift auf den Postkarten dachte. Das war fast
ein wenig romantisch, und dann sah er auch noch so gut aus. Seufzend schob ich
die Briefe zurück in die Flasche und stellte sie wieder auf dem Kaminsims.
Wo blieben die beiden? Ich stand auf und ging den Flur runter. Ich war so
erleichtert das ich mich fast schwerelos fühlte. Dort die Tür, sie stand einen spalt
offen, das ich neugierig wurde. Ich schob die Tür einen spalt breiter auf und
spürte wie mir das Herz in der Brust zersprang. Ich glaubte ein Schlafzimmer
vorzufinden, aber das was ich sah, war schrecklich. Die Wände waren tapeziert
mit Zeitungsausschnitten über Michael Schulze, einem großen Bild von dem
‚lieben Onkel’. Ich erkannte ihn gleich wieder. Mir blieb die Luft weg.
Ausschnitte aus den Lokalen Blättern, man habe in seinem Haus mehrere Skelette
gefunden und könnte missbrauch nicht ausschließen. Dann gab es die Meldung man
hätte ihn nach langer Fahndung geschnappt. Er saß im Gefängnis. Ich konnte mich
nicht darüber freuen, noch entsetzt sein darüber das er wirklich noch weiter
gegangen war, als mich dabei zusehen zu lassen wie onanierte. In meinem Kopf
drehte sich alles, wieso hatte Peter solche Dinge im Haus? War der Raum einfach
noch nicht renoviert worden?
„Oh nein, das solltest du doch noch gar nicht sehen…“, raunte Peter
hinter mir.
Ich zuckte zusammen, als seine Hand plötzlich auf meiner Schulter lag.
Sie hinterließ einen rotfarbenen Fleck auf meinem weißen Shirt. Oh Gott, Anne!
„W…..warum?“
„Weißt du, sie rollen den Fall nicht noch mal neu auf, aber jedes weitere
Geständnis von irgendwem könnte die Staatsanwaltschaft dazu bringen meinen Vater
nur noch länger festzuhalten.. also gab er mir eine Liste mit den potenziellen.
War ziemlich schwierig dich zu finden, wegen dem neuen Namen und so, aber jetzt
bist du ja hier…“
Ich wusste dass er mit irgendwas Schwung holte aber ich konnte mich nicht
bewegen. Schließlich spürte ich den harten Hieb an meinem Hinterkopf, ich sah
noch wie ich durch die Tür in diesen perversen Altarraum fiel und dann wurde
meine Welt dunkel.
Ende.
Texte dürfen nur in wortgetreuen Auszügen und mit Angabe der Quelle, also kussdermuse.blogspot.com und zottelkind.blogspot.com übernommen werden.Vielen Dank fürs Lesen. Freue mich über Kommentare mit konstruktiver Kritik, Anmerkungen und vielleicht sogar Lob. Die Rechte am Text liegen selbstverständlich bei mir.
Die Geschichte ist genau nach meinem Geschmack. Kurz, knackig, gruselig. Genial. Bitte mehr davon ^^
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